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Morgenwind

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Auf die ihr eigene, einfühlsame Weise setzt sich Beate Rost auch in ihrem zweiten Buch „Morgenwind“ wieder für die Schwachen, die Hilfsbedürftigen und die Schutzlosen ein, indem sie fast verhalten, aber dafür umso eindringlicher aufmerksam macht auf ihr Elend und ihre Not.
In fünf Kurzgeschichten erzählt sie unter anderem aus dem Leben der Beaglehündin Juli, die in einer Versuchstierzucht geboren wurde, deren Bestimmung aber eine ganz andere war, als im Dienste des Menschen zu sterben.
In der Geschichte des Jagdhundes Timmy und der seines Retters, des alten Försters Erich von Bergen, klagt die Autorin an, legt den Finger in die Wunde und zeigt, wie wir Menschen nicht nur mit den Tieren, sondern auch miteinander umgehen: Herzlos, gedankenlos, grausam.
Und gemeinsam mit Iras, einem alten, weisen Schäferhund, der die Taten der Menschen in das große Buch der Abrechnung einträgt, bittet sie den Leser, sie in eine Welt zu begleiten, über die es nachzudenken gilt, solange die Zeit dafür noch bleibt.
Folgen Sie Juli, Timmy, Fussel und all den anderen ein Stück ihres Weges. Nehmen Sie Anteil an ihrem Aufbruch in ein neues Leben.
Und lassen Sie sich trösten von der Erkenntnis, dass Tierschutz allen Widerständen zum Trotz immer ein Weg der Hoffnung sein wird.

 

Format 14 x 20 cm, Paperback, 172 Seiten, 10,80 € + Versand

Zu bestellen unter: http://www.make-a-book.de

Leseproben "Morgenwind"

"Schneeland"

(…) Jochen saß in seinem Auto und fühlte sich elend. Er hatte an der Straße, nahe dem Haupteingang des Kliniklabors, geparkt. Seine Frühschicht begann in zehn Minuten. Er beobachtete die Angestellten seines Vaters, wie sie eilig hineinströmten, um pünktlich an ihrem Arbeitsplatz zu sein. „Sie hasten durch ihr Leben“, dachte er, „ohne zu bemerken, was rechts und links von ihnen passiert. Sie eilen jeden Morgen an den Platz des Grauens zurück, ohne die Grausamkeit um sich herum zu bemerken.“

Jochen spürte schon wieder diesen merkwürdigen Schwindel, der in der letzten Zeit immer häufiger auftrat. Es war, als würde sich der Boden unter ihm auflösen, ganz kurz nur, nur ein paar Sekunden drehte sich die Welt um ihn herum. Er schob es auf die andauernde Anspannung und auf die ständige Angst, dass irgendetwas schief laufen könnte. Er fand seit Wochen keine Ruhe mehr. Selbst in den Nächten hatte er die unbeschreiblich grausamen Bilder des Tages vor Augen. Immer und überall befürchtete er, enttarnt zu werden. Aber er war jetzt so kurz vorm Ziel. Er musste durchhalten. Er musste es mit ansehen und er musste es ertragen. Nur so hatte er die Chance, sie befreien zu können. Jochen starrte auf den großen, geschmückten Weihnachtsbaum, der auf der Wiese vor dem Portal stand und dessen Lichter hell in die Morgendämmerung strahlten. „Das Fest des Friedens und der Liebe“, dachte Jochen und empfand den Gedanken in diesem Moment als bloße Ironie.
Was würde aus ihr werden, wenn er versagen würde? Aus dieser kleinen Hündin, die er zurückgelassen hatte. Ihre Identifikationsnummer würde an einem der Stahlkäfige befestigt und sie würde im Dienste der medizinischen Forschung ein Martyrium erleben müssen, monatelang, vielleicht jahrelang, solange, bis sie sie umbringen würden. Irgendwo würde dann geschrieben stehen: MY-98-432 wurde der Wissenschaft „geopfert“.
„Ich werd’ sie da heraus holen“, flüsterte Jochen, „und ihr all das zeigen, was ein kleines Hundeleben schön macht. Ich werde sie Juli nennen, nach dem Monat, in dem ich sie zurückließ und ich werde ihr die Sonne zeigen, die Vögel und den Wind und mit ihr im Schatten einer alten Baumkrone liegen.“ Jochen schloss die Augen und träumte. Er versuchte, seine letzten Kräfte zu bündeln, um wieder einen Tag inmitten des Unvorstellbaren zu verbringen. (…)

Die Abendsonne brütete noch immer heiß über dem mittlerweile menschenleeren Schrottplatz. Der schwere Geruch von Altöl und vergossenem Benzin lag wie ein flimmernder Film in der Luft.
Fussel lag zusammengerollt unter dem Wohnwagen, der seit Jahren am Rande des Kiesplatzes stand. Er war müde vom Tag. Er hatte sich nicht viel bewegt, das erlaubte ihm seine Kette nicht, aber er hatte bis zum späten Nachmittag das Geschehen um sich herum aufmerksam beobachtet. Zwar nur aus dem Abseits, aber er hatte aufgepasst und hin und wieder auch verantwortungsvoll gebellt.

Fussel war vor vielen Jahren als Wachhund von seinem Besitzer hierher gebracht worden. Eine Hütte hatte der Schrotthändler ihm nicht aufgestellt. Der Wohnwagen diente Fussel als Unterschlupf. Nicht, dass er hinein gedurft hätte, aber er hatte die Möglichkeit, sich in den Nächten darunter zu verkriechen. Fussel mochte die Nächte nicht. Er hatte Angst im Dunkeln. Er fürchtete den Mond, wenn er wie eine leuchtende Kugel am Himmel stand und die Finsternis um ihn herum in ein geheimnisvolles Licht tauchte. Und manchmal, wenn ein Gewitter seine Blitze gespenstisch auf die Erde schickte, und der Donner laut in Fussels Ohren wütete, zitterte und bebte sein ganzer Körper.
Das alles wusste sein Besitzer nicht. Er dachte, das Alleinsein würde Fussel nichts ausmachen. Er hatte sich wohl auch nie die Mühe gemacht, über ihn nachzudenken. Er brachte ihm zwar jeden Tag sein Futter und wechselte auch hin und wieder das Wasser in dem Eimer, der neben dem Wohnwagen stand, aber ansonsten empfand er keine Verbundenheit zu seinem Hund. Für ihn gehörte Fussel zum Schrottplatz, genau wie die ausgeschlachteten Autowracks, die Ansammlungen an Ersatzteilen, die Schrottpresse und das sonstige Gerümpel an Altmetall.
Er hatte Fussels Kette am äußersten Ende des Wohnwagens mit einer Eisenverankerung in den Boden gepflockt. Fussel kannte den Radius genau, den die Kette ihm zum Leben ließ. Er wusste, dass ihre Länge nicht ausreichte, um sich hinter den beiden Mittelrädern des Wohnwagens verstecken zu können. Trotzdem versuchte er es immer wieder. Er zog und riss dann jedes Mal mit aller Kraft gegen die Verankerung an, und seine Pfoten arbeiteten und scharrten sich tief in den Kiesboden. Aber es half nichts. Die Kette gab nicht nach. Er erreichte die Räder nicht. Nur ein einziger Meter mehr hätte ihm geholfen. Er hätte ihm den Schutz vor dem Regen ermöglicht, der fast immer von vorn unter den Wohnwagen peitschte und den Kiesboden unter ihm regelmäßig aufweichen ließ. Ein einziger Meter mehr hätte für ihn Schutz vor dem Sturm bedeutet, der hier draußen auf dem freien Feld häufig unter dem Wagen herjagte, und dem er jedes Mal wehrlos ausgeliefert war.

Fussel hörte das Knarren des Hoftores. Er öffnete seine Augen und blinzelte müde unter dem Wohnwagen hervor. Sein Besitzer verließ den Platz. Er zog das Tor hinter sich ins Schloss und wickelte eine Eisenkette um die Metallscharniere.
Fussel sah noch eine Weile hinter seinem Besitzer her. Das machte er jeden Tag so. Schon seit vielen Jahren. Bis er hinter der Mauer zum Parkplatz verschwunden war. Dann schloss Fussel wieder seine Augen und versuchte zu schlafen. (…)

"Nebelmond"

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